Präzisionsfermentation in der Getränkeindustrie

Hopfenaroma aus Hefezellen? Gezielte Produktion von Proteinen, Fetten oder Vitaminen aus Reststoffen der Getränkeproduktion? Alternative Nutzung von bestehenden Produktionsanlagen? Die Präzisionsfermentationen macht all das möglich. Wir blicken in die Zukunft der Getränkeindustrie und verraten, was Sie davon schon auf der drinktec erleben können.

Veröffentlicht am 20/08/2025

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Ein Beitrag von

Dr. Jörg Bückle

freier Autor und Branchenexperte

„Biologische Minifabrik“ öffnet der Getränke- und Liquid-Food-Industrie ganz neue Wege

Präzisionsfermentation bekommt Schlüsselrolle bei der Versorgung der Weltbevölkerung

Fünf, acht, bis 2050 prognostizierte zehn Milliarden – die Weltbevölkerung wächst und wächst. Entsprechend immer schwerer wird es, die zu ihrer Versorgung notwendigen Lebensmittel bereitzustellen. Gerade die traditionelle Landwirtschaft und die klassischen Produktionstechnologien stoßen hier an Grenzen. Neue Wege müssen gedacht und gegangen werden.

Das reine Bevölkerungswachstum ist bei dieser Zeitenwende allerdings nur die eine Seite der Medaille. Immer mehr Konsumenten ernähren sich gleichzeitig nachhaltig. Nachhaltig im Sinne von mehr Tierwohl, kleinerer CO2-Fußabdruck, weniger Ressourcenverbräuche sowie aus ganz persönlichen Zielen wie Wohlfühlen und Fitness. Um vor diesem Hintergrund die Schlüsselfaktoren Verfügbarkeit, Ökologie, Qualität und Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen, nimmt die sogenannte Präzisionsfermentation eine Schüsselrolle ein.

Dabei produzieren selektierte oder „neu programmierte“ Mikroorganismen als eine Art „biologische Minifabrik“ direkt die gewünschten Inhaltsstoffe. Mit den identischen Eigenschaften des Originals. Proteine, Vitamine, Enzyme, Pigmente, Fette und Aromen sind hier nur einige Beispiel.

Was versteht man unter Präzisionsfermentation?

Die Fermentation begleitet die Menschheit wohl schon seit ganz frühen Jahren. Bier, Wein, Sauerteig oder Kimchi sind hierfür beispielhafte Vertreter. Prinzipiell erzeugen bei einer Fermentation Mikroorganismen aus einem Ausgangssubstrat eine oder mehrere neue Substanzen. So entstehen aus Zucker Alkohol oder Milchsäure.

Die Präzisionsfermentation geht jetzt noch einen Schritt weiter: Durch Selektion oder genetische Neuprogrammierung können Mikroorganismen in einem Bioreaktor aus einem Substrat bei engspezifizierten Prozessparametern eine Vielzahl an Lebensmittel- und Pharmainhaltsstoffen produzieren. Inhaltsstoffe, die dem Anwender einen bunten Strauß an Möglichkeiten bieten. So sind mit der Präzisionsfermentation längst Käsevarianten oder Burger-Patties aus Proteinen möglich, die nie mit einem Tier in Berührung kamen - und auch geschmacklich überzeugen. Ein überaus attraktiver Markt: Die Boston Consulting Group und der Impact Investor Blue Horizon erwarten zum Beispiel bis 2035 allein mit alternativen Proteinen Umsätze in Höhe von 290 Milliarden US-Dollar entlang der Wertschöpfungskette.

Praxisbeispiel auf der drinktec: Hopfenaroma ganz ohne Hopfen

Ein ganz aktuelles Beispiel können die Fachbesucher der drinktec in München hautnah erleben – ein innovatives Hopfenaroma, das mithilfe einer patentierten Präzisionsfermentation hergestellt wird. Anstatt auf den traditionellen Hopfenanbau angewiesen zu sein – der ressourcenintensiv ist und stark von Wetterbedingungen, Erntezyklen und Lieferketten abhängt – nutzt dieser Ansatz speziell ausgewählte Hefestämme, die auf fermentative Weise die gleichen Aromaverbindungen produzieren, die in Hopfen vorkommen. Das Ergebnis ist ein nachhaltiges, zuverlässiges und hochwertiges Hopfenaroma, das den wachsenden Anforderungen der Getränkeindustrie an Verfügbarkeit, Qualitätskonstanz, Effizienz und Umweltverantwortung gerecht wird. Das Aroma eignet sich sowohl für alkoholische als auch für alkoholfreie Biere und ermöglicht es den Produzenten zudem, neue Lifestyle-Produkte zu kreieren. Obwohl hier der Schwerpunkt ganz klar auf dem Hopfenaromen liegt, zeigt das Beispiel zugleich das breite Potenzial der Präzisionsfermentation für die Herstellung natürlicher, hochwertiger Aromen auf, die über die Grenzen der landwirtschaftlichen Produktion hinausgehen. Es öffnet der Getränke- und Liquid-Food-Industrie das Tor, um dem Verbraucher außergewöhnliche sensorische Erlebnisse bieten und gleichzeitig die natürlichen Ressourcen schützen zu können.

Mit dem drinkec Innovation Guide entschlüsseln Sie vor Ort die Details zu diesem spannenden Praxisbeispiel.

Noch mehr zum Thema Präzisionsfermentation erfahren Sie am Montag 15. September 2025 auf der Liquidrome Wave Stage. Bleiben Sie dran …

Bioreaktoren zur Präzisionsfermentation

Verfahrenstechnisch wichtigster Baustein der Präzisionsfermentation ist der Bioreaktor. Dieser muss zum einen die sehr individuellen Prozessparameter der Mikroorganismen wie Substratzufuhr, Temperatur, Belüftung oder den Einsatz eines Rührers exakt umsetzen können. Darüber hinaus erfüllen diese Bioreaktoren genauso wie die verbauten Prozesstanks höchste Ansprüche bezüglich ihrer hygienischen Ausführung und Reinigbarkeit. HACCP-Vorgaben, Empfehlungen der European Hygienic Engineering & Design Group (EHEDG) sowie Rautiefen von weniger als 0,3 μm sind hier wichtige Stichworte.

Vorteile der Präzisionsfermentation

Was aber kann ein Produzent konkret von der Präzisionsfermentation erwarten? Da wären zu nennen eine höhere Flexibilität seiner Produktionsprozesse, steigende Wirkungsgrade, eine bessere Kosteneffizienz durch niedrige TCO & CAPEX, ein sinkender Methan- und CO2-Ausstoß sowie ein geringerer Energie- und Wasserverbrauch im Vergleich zu konventionellen Ansätzen. Kurz: Die Produktion von Proteinen, Fetten oder Vitaminen ist wesentlich schneller, effizienter, kontrollierter und klimafreundlicher als bei herkömmlichen Methoden wie beispielsweise den „Umweg“ über ein Nutztier. Die Präzisionsfermentation gestattet es darüber hinaus, große Flächen, die derzeit intensiv landwirtschaftlich genutzt werden, für den Klimaschutz freizugeben.

GEA betreibt Pilotanalge zur Präzisionsfermentation

Viele gute Argumente sprechen dementsprechend für den Einsatz einer „biologischen Minifabrik“ – mit wachsender Resonanz: So eröffnete am 17. Juli 2025 die GEA Group in den USA ein neues New Food Application and Technology Center of Excellence (ATC). 18 Millionen Euro flossen in das zweite Technologiezentrum des Konzerns, das Herstellern den Weg von der Idee zur industriellen Produktion von Alternativen zu konventionellen Lebensmitteln wie Fleisch, Milchprodukten, Fisch und Eiern ebnet. Ein zentraler Baustein dabei ist eine Pilotanlage für die Präzisionsfermentation. „Die Lebensmittelindustrie steht an einem Wendepunkt. Um künftige Generationen nachhaltig zu ernähren, müssen wir aus vielversprechenden Konzepten industrielle Wirklichkeit machen,“ sagt Stefan Klebert, CEO der GEA Group. „Mit dieser Investition helfen wir unseren Kunden, die Produktion von neuartigen Lebensmitteln wie präzisionsfermentiertem Eiweiß großtechnisch umzusetzen.“ Die Zeitenwende hat also längst Fahrt aufgenommen.

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